Die 21-jährige Elena Brandt aus Hamm liebt den Tennissport. Bisher musste sie immer weite Anfahrtswege in Kauf nehmen, um ihren Lieblingssport ausüben zu können, da sie seit ihrer Kindheit im Rollstuhl sitzt. Cappenberg und Waltrop-Elmenhorst waren ihre bisherigen Trainingsorte. Mit dem Start des Rollstuhltennis-Projektes beim TuS 59 Hamm Anfang September 2013 kann sie direkt vor der Haustür trainieren.
Im Winter steht die Arminia-Halle im Birkenfeld zum Training zur Verfügung, im Sommer wird auf den Plätzen am TuS gespielt. Was in Zusammenarbeit mit dem Stadtsportbund (SSB) Hamm als Versuchsprojekt startete, hat sich innerhalb von anderthalb Jahren etabliert. Neben Elena sind vier weitere Rollstuhl-Tennisspieler am Start – der jüngste Teilnehmer, Leon Wiese, ist gerade sechs, der älteste ist Dirk Benecke mit 49. An diesem Mittwoch sind aber erst einmal nur drei Spieler gekommen: Leon wird von seinem Vater begleitet, Dirk von einem Taxifahrer, der auch beim Aufbauen der Netze hilft. „Wir haben viel Spaß“, bilanziert Elena. Dirk ist froh, dass für Rollstuhlfahrer überhaupt etwas in Hamm angeboten wird. Aus diesem Grund freuen sich alle auf die wöchentliche anderthalbstündige Trainingseinheit unter der Leitung von Vereinstrainer Patrick Knöpke, der als Fußgänger im Rollstuhl unterwegs ist.
Noch größer ist die Freude bei Leon. Der Rotschopf kann es kaum aushalten, bis wieder Mittwoch ist und er auf den Platz darf. Kein Wunder, dass der Sechsjährige als Erstes vor Ort ist. Nach und nach treffen die anderen ein. Zuerst steht das Warm-Up auf dem Programm. Nach einem kurzen Einfahren werden die Tennis- in Hockeyschläger umfunktioniert und Zweier-Teams gebildet, die 20 Minuten auf zwei Tore schießen. Kurze Zeit später rasseln die Schläger wie Säbel und ein lockeres Spielchen entwickelt sich. Alle haben ein Lächeln auf den Lippen, auch wenn das Team Leon/Patrick dem Duo Elena/Dirk hoffnungslos unterlegen ist. Doch Leon und Patrick geben nicht auf, Patrick feuert Leon immer wieder an und nach einem Punkt klatschen sich die beiden ab.Nach dem Spiel auf Zeit beginnt das eigentliche Training: Der einzige Unterschied beim Rollstuhl-Tennis im Gegensatz zu den Fußgängern ist, dass die „Rollis“ den Ball zwei Mal ticken lassen dürfen, so auch Elena, Dirk und Leon. Patrick spielt den Dreien jeweils drei Vorhände zu, die sie ins Feld platzieren sollen. Leon darf als Erster und ist mit Feuereifer bei der Sache. Bei dem Sechsjährigen nimmt Patrick beim Anspielen etwas Tempo raus, während er bei Elena und Dirk schon eine schnellere Angabe macht. Kein Problem für die beiden erfahrenen Spieler. Auch wenn mal ein Ball daneben geht, Patrick spart nicht Lob: „Schön, Leon!“ Auch die Motivation kommt nicht zu kurz: „Ich will noch eine Vorhand sehen!“ Nach der ersten Runde Vorhände stößt der elfjährige Tuhanan Olgun dazu, der von seiner Mutter gebracht wird. Tuhanan darf mit den Rückhänden vorlegen. Tuhanan und Leon sind erst seit dem vergangenen Herbst dabei, machen sich aber schon ganz gut, auch wenn der Leistungsgedanke nicht im Vordergrund steht. „Es kommen immer wieder neue Spieler dazu“, ist Tina Wilke, Geschäftsführerin des TuS 59 Hamm, sehr zufrieden mit bisherigen Verlauf des Projektes, „es wird gut angenommen und alle haben Spaß daran.“
Grund genug für den Verein, das „Projekt Rollstuhltennis“ weiter auszubauen: In den nächsten Monaten will der Club an den Grundschulen in der Umgebung sowie an der Hedwig-Dransfeld-Schule in Werl, einer LWL-Förderschule, verstärkt die Werbetrommel rühren: mit Flyern und Schnuppertennis. Zudem soll es künftig zwei Trainingsgruppen geben – eine für Anfänger und eine für Fortgeschrittene. „Zudem überlegen wir, für die Fortgeschrittenen Patenschaften anzubieten, einem Rollstuhltennis-Spieler wird ein Fußgänger aus dem Verein an die Seite gestellt. Die beiden sollen zusammen trainieren und sich austauschen, um die Rolli-Tennisspieler noch besser in den Verein zu integrieren“, so Tina Wilke weiter. Verschiedene Alters- und Leistungsstufen, Spieler mit und ohne Migrationshintergrund, Rollstuhlfahrer und Fußgänger – Tennis macht’s möglich und davon profitieren alle Seiten, ebenso wie von einer Erweiterung des Angebotes. Denn bis dato ist Tennis die einzige Sportart, die Rollstuhl-Fahrern in Hamm geboten wird. Elena, Dirk, Leon und Tuhanan freut’s – und so unterschiedlich sie auch sein mögen, sie alle haben eins gemeinsam: die Liebe zum Tennis.